Sonntag, 19. August 2018

Zusammenfassung der Leidenschaft

Es gibt Dinge, die gehen eigentlich gar nicht. Driftwood Holly lässt sich davon nicht beirren.

Er baut eine Bank aus einem Baumstamm und platziert sie am höchsten Punkt von Dawson City. Er baut einen kleinen Schaufelraddampfer aus Holz und schickt ihn auf den Yukon. Er fegt einen zugefrorenen See und baut einen Mond aus Gras darauf. Er pumpt nachts ein Schlauchboot auf und paddelt mit seiner Band durch Venedig. Einer wie er hat viele Ideen, Träume und Visionen im Kopf. Dort könnte er sie lassen – oder versuchen, sie wahr zu machen.

Ein Musikerkollege sagt ihm einmal: "Es gibt Dinge, die gehen eigentlich gar nicht. Und dann kommst du und machst einfach. Und dann geht das auch noch." Driftwood Holly folgt seinem Herzen, seiner Intuition und meistens fährt er sehr gut damit. Auch bei seinem dritten Album. Schon lange vorher ist für Holly klar, dass dieses Album "Casanova" heißen und in Venedig produziert wird. Lange bevor der Titelsong geschrieben, das Studio ausgesucht oder die Finanzierung geklärt ist. Die Band kennt Holly inzwischen und vertraut ihm, weil sie wissen, dass es irgendwie so kommen wird. Zu fünft starten sie die Planung – Driftwood Holly (voc, git), Jäcki Reznicek (bg), Pavel Osvald (vl), Basti Reznicek (dr, perc) und Adrian Dehn (git). Doch die Band ist quasi ein Projekt und die Zusammensetzung flexibel. So kommt für die Albumproduktion Dan Stark ins Boot, ein kanadischer Gitarrist, für dessen Gitarrenspiel sich Holly bei einer Jamsession zu Hause in Whitehorse spontan begeistert. Ebenso wie für das Cellospiel von Lori Goldston, die schon mit Nirvana auf der Bühne stand. Kurzerhand schickt Holly ihr eine Mail und holt sie als Special Guest an Bord.

Als die Jungs im Februar in den Waterland Studios in Venedig ankommen, haben sie vorher gerade ein paar Konzerte gespielt. Transatlantische Proben sind für Holly, den es aus dem sächsischen Oberwiesenthal hoch in den kanadischen Norden zog, und seine deutsche Band generell schwierig zu organisieren. Zwar haben sie die meisten Songs schon live gespielt, doch mit der Freiheit, sie jedes Mal neu zu interpretieren. Auf der Bühne können sie sich vom Moment, vom Publikum und der Stimmung inspirieren lassen. Im Studio gilt es nun, sich auf eine Masterversion zu einigen, die quasi für die Ewigkeit gespeichert und beliebig oft abgespielt wird. Es kommt also darauf an, die Musiker und ihre Instrumente so in Szene zu setzen, dass die Songs ihre volle Strahlkraft entfalten.

Bei meinem Besuch im Studio bekomme ich eine Idee davon, was das bedeutet. In den fünf Tagen erlebe ich Venedig bei Schnee, Regen, Nebel und Sonnenschein. Die wechselnden Gesichter gehören zur Stadt und machen ihren Charme aus. Genauso ist es mit der Band. Die Arbeitsatmosphäre ist konzentriert und intensiv. Sie musizieren und diskutieren, lachen und streiten, philosophieren über das große Ganze und viele einzelne Details. Letztlich ist es wie eine gemeinsame Sprache, die sie als Musiker unabhängig vom Land oder Genre verbindet, wie Adrian meint: "Das ist genau das, was du in diesem Umfeld lernst – dass es eben nicht darum geht, nur nach Noten und bestimmten Abläufen zu spielen. Sondern dass es eine menschliche Sache ist, wie du dich in den anderen einfühlst und seine Geschichte mit erzählst." Dabei sind vor allem die Leidenschaft für ihre Musik und der gegenseitige Respekt spürbar. Und so ist es leicht, sich von dem Kribbeln anstecken zu lassen, das in der Luft liegt, weil etwas Neues und Besonderes entsteht.

Für Holly ist Venedig auf jeden Fall die richtige Entscheidung: "Für mich ist das hier die Zusammenfassung der Leidenschaft. Und wenn du diese Leidenschaft für die Musik hast, dann musst du sie an den besten Platz bringen, der dir einfällt. Manche Sachen bekommen einfach Beine, wenn bestimmte Umstände zusammenkommen." In zweieinhalb Wochen Studioarbeit erleben sie genau das und sind froh, als sie schließlich alle Songs im Kasten haben. Auch wenn die Arbeit am Album noch lange nicht beendet ist, jammen sie am Abend erstmal ausgiebig und genießen das freie Spiel. Doch die Expedition ins Unbekannte geht weiter, denn Lori Goldston spielt ihre Cello-Parts im Studio in Seattle ein. Offenbar kann sie den speziellen Vibe auch dort spüren – sie kennt die Songs vorher nicht und trifft doch die Stellen, an denen die Jungs schon im Studio das Cello im Kopf haben.

"Die Musik, die wir machen, ist intensiv und emotional. Und darum ist sie beeinflusst von Menschen, die intensiv und emotional gelebt haben. Ich glaube, Casanova war so einer, der einfach das Dasein gefeiert hat und das ist etwas, das auch in mir wohnt", sagt Holly. Bester Beweis ist das ausdrucksstarke und harmonische Album. "Casanova" spiegelt den Geist von Venedig, der Musiker und Songs gleichermaßen inspiriert hat. Ob zarte Ballade oder fließender Rocksound, ob Folk- oder Bluesaspekte, ob mittelalterliche oder barocke Klänge – diverse Liedcharaktere haben sich zu einem klangvollen Ganzen verbunden, ohne ihren Kern zu verändern. So wirkt das Album sanfter, als seine Vorgänger – irgendwie leicht und sphärisch, trotzdem mystisch und kraftvoll. Die feinsinnige Kommunikation zwischen den Instrumenten überzeugt in einzelnen Details, wie auch im Gesamtarrangement. Verbindendes Element ist Hollys warme, sonore Stimme, die den Liedern ihre Seele einhaucht. "Casanova" ist ein Plädoyer für das Leben und seine Emotionen, für Vertrauen in sich selbst und das große Unbekannte. Denn ohne all das würde es diese Band und das Album nicht geben. Und auch nicht die Geschichten um Driftwood Hollys unkonventionelle Ideen.

Der Beitrag ist nachzulesen im SCHALL-Musikmagazin
(Ausgabe 3/2018; www.schallmagazin.de)

Tourtermine (Auswahl):
26.10.2018 Lichtentanne, Christuskirche
02.11.2018 Auerbach, Nicolaikirche
09.11.2018 Leipzig, Moritzbastei
10.11.2018 Zwickau, Versöhnungskirche
16.11.2018 Plauen, Theater
17.11.2018 Dresden, Tante JU
24.11.2018 Berlin, Admiralspalast (Kleiner Saal)

Die vollständigen Tourtermine sind demnächst zu finden auf: www.driftwoodholly.com