Freitag, 26. August 2016

Fallen oder fliegen...

Hat nicht jeder irgendwann einmal im Leben das Gefühl gehabt, ganz oben auf dem Berg zu stehen – im wörtlichen oder im übertragenen Sinne? Und sich dann gefragt, wie es weiter gehen kann oder soll? Der Pessimist könnte meinen: "Jetzt bin ich ganz oben angekommen. Besser wird es nicht, nun kann es nur noch bergab gehen." Der Optimist denkt vielleicht: "Hurra, ich stehe auf dem Dach der Welt. Wenn ich bis hierher gekommen bin, kann ich alles erreichen."

Wie so oft im Leben haben wir es selbst in der Hand. Wir selbst entscheiden, was wir aus den Begegnungen des Lebens, aus den Erlebnissen und Erfahrungen mitnehmen. Wir selbst entscheiden, ob wir die Dinge pessimistisch oder optimistisch sehen wollen. Wir selbst entscheiden, ob und wie sehr wir uns dabei von anderen Menschen und deren Meinungen, also von unserem Umfeld beeinflussen lassen. Ich selbst entscheide, wie ich mich oben auf dem Berg fühlen will: Ob ich Angst vor dem Fallen habe oder mich aufs Fliegen freue. Es steht mir frei, die Situation für mich zu definieren und zu bestimmen, wie es weiter geht. Und genauso ist es mit vielen anderen Dingen.


Während meiner Ostseezeit im Frühjahr war ich unter anderem beim Absolvententreffen an der Fachhochschule in Stralsund. Das Studium dort war eine der besten Entscheidungen meines Lebens. Das habe ich damals so gesehen und das sehe ich auch heute noch so. In vier Jahren Studienzeit – d.h. sechs Semester in Stralsund, eins in Norrköping (Schweden) und eins in Tallinn (Estland) – habe ich unheimlich viel gelernt. Fachlich, sprachlich, kulturell, menschlich und natürlich jede Menge praktische Dinge fürs Leben. Und als ich endlich mein Diplom in der Tasche hatte, ging es mit mehr oder minder großen Rosinen im Kopf in die neue große Welt hinaus.

Da ist so ein Wiedersehen mit alten Studienfreunden meist eine amüsante Angelegenheit. Wer holt nicht gern die alten Kamellen raus, um sich gemeinsam mit anderen an spezielle Eigenheiten der Professoren, durchgearbeitete Nächte, knifflige Projektarbeiten, spannende Auslandstrips oder verrückte Studentenpartys zu erinnern. Umso länger die Studienzeit zurückliegt, desto lustiger die Erinnerung. Desto spannender aber auch der Rückblick auf das seither Erlebte und die aktuelle Situation. Und 15 Jahre nach dem Abschluss sind nicht zuletzt auch die früheren Professoren neugierig, zu erfahren, wen es wo hin verschlagen hat und was aus dem einen oder anderen geworden ist. Was ist geblieben von den Träumen und Plänen von damals? Wer hat einen spannenden Job gefunden, sich weiterentwickelt und erfolgreich Karriere gemacht?

Eine passende Gelegenheit also, sich mit der Frage von Erfolg oder Misserfolg auseinander zu setzen. Doch wer definiert eigentlich, was Erfolg ist und was nicht? Wer legt fest, wer erfolgreich ist und wer nicht? Die Generation meiner Eltern hat zum Geburtstag oder ähnlichen Anlässen gern "viel Glück, Erfolg und Schaffenskraft" gewünscht. Das war durchaus positiv gedacht. Doch gemeint waren üblicherweise ein gut dotierter Job, eine vermeintlich wichtige Position und das damit verbundene Emporklettern auf der Karriereleiter. Das entsprach dem allgemeingültigen gesellschaftlichen Verständnis, wonach Erfolg und Glück damit verbunden waren, wie viel Geld jemand verdient und was er sich im Leben leisten kann. Stillschweigend wurde davon ausgegangen, dass der Betreffende damit auch glücklich war.

Diese Sichtweisen haben sich in den letzten Jahren ziemlich gewandelt. Viele Menschen haben mittlerweile am eigenen Leib erfahren, dass Glück und Erfolg nicht von materiellen Dingen abhängig sind. Und immer mehr sind bereit, sich diese Erkenntnis nicht nur einzugestehen, sondern entsprechende Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Auch im Gespräch mit einigen früheren Kommilitonen habe ich festgestellt, dass sie Glück und Erfolg nicht allein am Einkommen oder der Position im Unternehmen festmachen. Für manchen war es eine lange und schmerzhafte Entwicklung, für andere war da von Anfang an so ein Gefühl, dass es noch mehr geben muss im Leben. Doch sie alle haben eins gemeinsam – es ist ihnen gelungen, sich von gesellschaftlichen Zwängen, von den Erwartungen und Ansichten anderer frei zu machen.

Auch ich bin dabei, Stück für Stück meinen eigenen Weg zu finden. Was zählt, ist einzig und allein, was mir wichtig ist und wie ich mich wohl fühle. Das herauszufinden, ist nicht immer einfach. Der Weg kann mitunter lang und kurvenreich, aber genauso gut überraschend und aufschlussreich sein. Dass ich unterwegs bin, bedeutet nicht, dass ich automatisch immer glücklich bin. Es bedeutet auch nicht, dass es keine Zweifel mehr gibt oder dass es nicht auch Momente gibt, an denen ich am liebsten alles rückgängig machen würde.

Doch ich genieße Tag für Tag das Gefühl, selbstbestimmt zu leben. Ich genieße es, den Freiraum für Fragen und neue Überlegungen zu haben, kreative Ideen ausprobieren und querdenken zu können. Ich genieße die kleinen Glücksmomente, die ich mir selbst organisieren kann. Ich genieße die Zufälle und Fügungen, die mir begegnen. Und ich freue mich über die Bestätigung, dass es wohl so einige Menschen gibt, die sich mit ähnlichen Themen beschäftigen... Umso mehr, wenn ich durch eine direkte Nachricht derjenigen davon erfahre. Vielen Dank dafür, du liebe Seele! Du hast mir beim morgendlichen Lesen eine Gänsehaut und den ganzen Tag über ein glückliches Lächeln beschert.

Es ist schön zu wissen, wie wir uns schon allein durch den Austausch gegenseitig unterstützen und voranbringen können. Was mögen wir dann erst bewegen können, wenn wir uns bei der Umsetzung unserer Träume, Pläne und Ideen zusammentun... Die Währung, die wirklich zählt im Leben, ist nicht das Geld. Lachen, Vertrauen und Liebe sind viel mehr wert.


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