Sicher, es ist nicht gerade einfach, aus gewohnten Bahnen
auszubrechen und alles umzukrempeln. Wir haben unserem Leben einen Rahmen
gegeben, der uns eine gewisse Sicherheit und oft auch bestimmte Verpflichtungen
vorgibt. Das können wir ja nicht mal eben so ändern. Oder doch? Schließlich
sind wir es selbst, die über unser Leben bestimmen. Wir haben uns den Rahmen
gesetzt, also können wir ihn auch verschieben, neu definieren oder komplett
wegreißen. Aber was kommt dann? Was wird uns die Zukunft bringen? Was wird uns auf
neuen Wegen begegnen? Am Ende kann und muss jeder für sich selbst entscheiden. Und
so ist den meisten der sichere und gewohnte Komfort letztlich näher als eine ungewisse,
vielleicht viel freiere und lebendigere Zukunft.
Doch ist es nicht gerade das Unbekannte, das uns neugierig und
offen sein lässt? Ist es nicht das Spannende, das uns immer wieder neu herausfordert?
Ist es nicht das Überraschende, das uns prickelnd leicht und lebendig fühlen lässt?
Das Leben ist eine Reise – mal hell und sonnig, mal grau und verregnet, mal
kurzweilig und angenehm, mal anstrengend und fordernd. Niemand kann ahnen, wie
viele Berge wir überwinden, Täler durchschreiten oder Seen durchschwimmen
müssen. Niemand kann vorhersagen, welche Abzweige, Kreuzungen oder Hindernisse
wir unterwegs finden werden. Niemand kann wissen, wie viele Umleitungen, Irrwege
oder Schleifen wir gehen müssen, bis wir unseren eigenen Weg und hoffentlich unser
ganz persönliches Glück finden. Ich weiß nur eins, solange wir nicht wenigstens
losgehen, werden wir auch nichts finden.
Wir vergleichen uns oft mit anderen, messen uns an ihren
Maßstäben. Oder genauer gesagt, an dem, was uns andere vermitteln. Wer weiß
denn schon, wie es tatsächlich in ihnen aussieht. Nur weil andere noch nicht
oder nicht mehr suchen, bedeutet das noch lange nicht, dass sie fündig geworden
sind. Die meisten sind eher zu bequem zum Suchen, ob sie es zugeben oder nicht.
Sein persönliches
Glück zu suchen, braucht Offenheit und Mut. Es kann ja schließlich sein, dass uns
unterwegs einige Überraschungen begegnen. Glaubt mir, ich weiß, wovon ich rede
– ich bin gerade mittendrin. Und so langsam wird mir klar, was der Spruch wirklich
bedeutet: "Life begins at the
end of your comfort zone."
Vierzehn lange Jahre habe ich es in meinem letzten Job
ausgehalten. Die Projektarbeit war genau mein Ding, es gab immer wieder Neues
und es wurde wahrhaftig nie langweilig. Viele spannende Menschen, Projekte und
Unternehmen habe ich dabei kennengelernt. Es hat Spaß gemacht, mit den Kollegen
im Team und in wechselnden Besetzungen zusammenzuarbeiten. Auch wenn es
mitunter schon an Galgenhumor grenzte, haben wir immer noch einen guten Grund
zum Lachen gefunden. Den Ausgleich zu meinem anstrengenden Job habe ich mir anderswo
gesucht – mit Freunden, im AbenteuerCamp, in der Musik, beim Schreiben und
anderem kreativen Zeugs.
In meinem Job habe ich fachlich und menschlich unheimlich
viel gelernt. Hängen geblieben sind vor allem drei Dinge. Zum Ersten: Qualifizierte
und zuverlässige Arbeit spricht häufig nicht für sich selbst. Für deine
Motivation und Wertschätzung bist du ganz allein zuständig, denn letztere
ergibt sich allzu oft nur aus dem nicht erteilten Anschiss. Getreu dem Motto "Nicht
getadelt ist genug gelobt". Zum Zweiten: Wirklich ehrliches Feedback ist meist nur
dann willkommen, wenn es der Erwartung des Fragenden entspricht. Dir bleibt
also die Wahl, dich entweder an die Erwartungen anzupassen oder ein unbequemer
Geist zu sein. Letzteres natürlich mit den entsprechenden Konsequenzen. Zum
Dritten: Umso länger du bleibst, desto schwerer wird es, dich zu lösen und etwas
neues anzufangen. Dazu braucht es nicht selten einschneidende Erlebnisse, die
dann umso schmerzhafter und wirkungsvoller sind.
Ich habe in all den Jahren eine ganze Menge weggesteckt,
vielleicht sogar zu viel. Trotz allem bin ich mir immer treu geblieben. Für das
was ich gesagt oder getan habe, kann ich mich nach wie vor im Spiegel ansehen. Ich
habe mich nicht allzu sehr angepasst – dachte ich... Doch im Lauf der Zeit
schien der Spiegel immer höher zu hängen. Oder lag es daran, dass ich kleiner
geworden bin? Es ist mir selbst gar nicht so aufgefallen, dass ich mich wohl
aus dem Blick verloren habe. Erst als mich grundlegende gesundheitliche Themen
bewegt und quasi zum Anhalten und Nachdenken gezwungen haben, kam ich wirklich
ins Grübeln. Und habe aus meiner Sicht das einzig richtige getan – mir selbst Zeit
zu schenken und mich aus dem Alltag zu lösen. Eine folgenschwere
Entscheidung...
Zeit für mich – das waren drei Monate Sabbatical, in denen
ich tun und lassen konnte, was ich mochte. Das klingt hervorragend und genau das
ist es auch. Eine Erfahrung, die ich nur jedem wünschen kann. Egal wie lange –
nicht die Dauer, sondern die Intensität ist es, die zählt. Für mich war die
Zeit mit vielen neuen Erlebnissen und Erfahrungen, vielen Begegnungen und
Gesprächen verbunden. Ich mag Menschen, die auf der Suche sind. Menschen, die
sich selbst und die Welt um sich herum in Frage stellen. Menschen, die unterwegs
sind zu sich, zu ihren Ideen und Träumen. Solchen Menschen zu begegnen, mit
ihnen zu reden, ist eine große Bereicherung. Das habe ich in den letzten Monaten
öfter erfahren dürfen und daraus unheimlich viele Impulse mitgenommen.
"Du hast es so gut. Ich beneide dich total." Das habe ich in
meinen letzten Arbeitstagen häufig von Kollegen zu hören bekommen. Meist habe
ich dann nur gelächelt, weil ich ja selbst noch nicht fassen konnte, was da auf
mich zukam. Noch wenige Monate zuvor hätte ich nicht geglaubt, irgendwann einmal
meinen Job hinzuschmeißen, ohne einen neuen oder zumindest einen halbwegs
sicheren Plan für die Zukunft zu haben. Doch mitunter ändern sich Dinge und
Einstellungen – mal Stück für Stück, mal mit einem großen Ruck. In diesem Falle
war es ein großer Schritt für mich, aber eben erst der Anfang. Mit der
abgegebenen Kündigung kam die große Euphorie, mit den letzten Arbeitstagen
großer Druck, weil jeder plötzlich noch etwas ganz wichtiges erledigt haben wollte,
dann kam langsam Urlaubslaune auf und später, als es wirklich vorbei war, ein
tiefes Loch.
Endlich frei, zu tun und zu lassen, was ich will... Eigentlich hätte
es mir bestens gehen sollen, aber dem war nicht so. Mit Freiheit klarzukommen,
ist gar nicht so einfach. Es ist eine Chance und große Herausforderung
zugleich. Zumal für jemanden wie mich, die ich mich bisher stark über meinen
Job definiert habe und eher gewohnt war, mit Zwängen umzugehen, als mit
Freiheit. Als dazu die Dämonen vom letzten Jahr wieder auftauchten und erneut gravierende
gesundheitliche Fragen im Raum standen, haben sich meine Ängste und Zweifel noch
verstärkt. Doch so langsam wird es wieder heller, auch wenn noch lange nicht
alles klar ist und ich mit vielen Themen noch lange nicht durch bin.
Bei Lichte betrachtet, finde ich es nicht ungewöhnlich und auch nicht
schlimm, sich selbst in Frage zu stellen. Diese Freiheit nehmen wir uns nicht
oft im Leben. So lange wir in gewohnten Bahnen laufen und nur funktionieren,
bleibt dafür meist weder Zeit noch Gelegenheit. Zu sagen, was ich nicht will, fällt
relativ leicht. Hingegen herauszufinden, was ich wirklich will und kann, ist
eine Möglichkeit, mich noch einmal neu zu definieren und meinen eigenen Weg zu
finden. "Eigene Wege sind schwer zu beschreiten, sie entstehen ja erst
beim Gehen." Immer wieder schießt mir die Textzeile durch den Kopf. Die
Idee ist nicht neu, aber nach wie vor aktuell. Na dann geh ich so langsam mal
los – denn genau das war ja der Plan. Ich mag Menschen, die unterwegs
sind und so langsam fange ich wohl an, mich auch selbst zu mögen... Ich glaube,
das lässt sich lernen, wie so vieles im Leben.
© GB2016